Raumakte: Sonnenuntergang

Blogpost Raumakte, 2015.

Es riecht nach längst abgesaugtem Rauch, die Beleuchtung ist etwas stark gedimmt. Der Raum wird zu gleichen Teilen von 40 bis 70-jährigen Schweizern und beleibten, nur wenig jüngeren Afrikanerinnen gefüllt. Dennoch wirkt die Beiz leer, gesprochen wird wenig, die Blicke verlieren sich im Nichts. Drei Inder machen Musik, oder tun wenigstens so, und eine Osteuropäerin scheint dazu zu singen. Die Stange kostet 10 Stutz. Ich habe Ruedis Platz geklaut, doch das stört ihn nicht. Ruedi wirkt trotz etwas eingesackter Haltung gross, ein schlabbriges T-Shirt bedeckt seinen stolzen Bauch, eine alte Dächlikappe die dünnen Haare. Während die meisten dieser Männer auf der Strasse auffallen würden, bin ich es, der hier am Rande steht. Der Kreis Cheib ist Ruedis Heimat, hier ist er grossgeworden, hier hatte seine Familie Einfluss.

Heute wohnt der Ruedi unter dem Lärmdach des Zürcher Flughafens. Auch seine acht Geschwister haben das Quartier verlassen. Er deutet auf seine Schlitzaugen als Beweis aussereuropäischer Einflüsse, will aber nicht verraten, welche. Mit seinen 51 Jahren ist er schon lange arbeitsunfähig, er lebt von der Sozialhilfe. Keine Frau, keine Kinder. Er könne nie eine Frau finden, das hat er schon lange aufgegeben. Seine Stimme gehört der SVP. Warum genau, kann er mir nicht sagen. Ist so weil ist so.

Der Barmann will mir kein Bier mehr ausschenken, die letzte Runde sei vorbei, doch der Ruedi organisiert mir noch eins. Prost! Seine Abende verbringt er in der Sonne mit einem seiner Brüder und ein paar anderen schweigend auf seinem Barhocker. Ab und zu teilt er sich ein Zimmer mit einer Afrikanerin. Er hat hier seine Lieblingsprostituierte, sie kennt ihn inzwischen gut.

Eine spricht mich an der Bar an. Susannah heisst sie. Ist das dein echter Name? Anna. Christiana. Sie nennt noch ein paar weitere. Erst vor zwei Wochen sei sie aus Äthiopien hier angekommen. Do you feel lonely?, fragt sie. No need be und legt mir sanft ihre Hand auf den Arm. Ich ziehe ihn zurück, die Leuchtstoffröhren flackern an, es ist 3, Schluss für heute. Ich verspreche dem Ruedi noch, mich ein ander Mal für das Bier zu revangieren, doch dazu kommt es nicht mehr. Die Woche drauf findet sich an der Glastüre nur noch der Hinweis, dass man nun im Hotel Regina bedient werde.

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Raumakte: Strahlnen an der Furka, oder auch: Furka zum zweiten

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Raumakte: Furkablick, oder auch: Furka zum ersten